Bewegungen übersetzen. Tanzästhetische Transformationen und ihre medialen Rahmungen - Das Beispiel des 'afrikanischen Tanzes'
Projektleitung: Prof. Dr. Gabriele Klein, Universität Hamburg
Wissenschaftliche Mitarbeit: Dr. Marc Wagenbach, Claude Jansen
(Soziologie, Bewegungs- und Tanzwissenschaft)
Ausgangspunkt des Projektes waren zwei Grundthesen: zum einen, dass Tanz als eine spezifische, weil präsenzerzeugende und flüchtige Praxis des Übersetzens, als ein permanentes ‚Dazwischen‘, als ständig im Übergang begriffen, selbst Übersetzer ist. Zum anderen, dass Sinngenerierung im Tanz als eine Praktik des situationalen Rahmens verstanden werden kann, deren ‚Brüchigkeit‘, Fragilität und Kontingenz vor allem dann sichtbar wird, wenn der Tanz in verschiedene kulturelle Kontexte übersetzt wird.
Empirischer Untersuchungsgegenstand waren Arbeiten von Künstler*innen, die in afrikanischen Ländern geboren wurden und im Bereich der zeitgenössischen Choreographie international sichtbarsind. Ausgewählt wurden die Arbeiten von den fünf Choreograf*innen Germaine Acogny (Senegal), Koffi Kôkô (Benin), Faustin Linyekula (Kongo), Mamela Nyamza und Robyn Orlin (beide Südafrika). Acogny, Koko und Orlin gehören der ersten Generation afrikanischer Künstler*innen an, die in den 1980er Jahren international bekannt wurden, Linyekula und Nyamza der jüngeren Generation, die erst nach der Ausweitung des Kunstmarktes zu global art seit ca. Beginn des 21. Jahrhunderts international ihre Arbeiten präsentieren.
Untersucht wurden Übersetzungspraktiken mithilfe der Methode der „praxeologischen Produktionsanalyse“ (Klein) in Bezug auf die Stückerarbeitung, Aufführung sowie Rezeption ausgewählter Stücke dieser Choreograf*innen sowie deren biografische und lebensweltliche Rahmung. Dazu wurden verschiedene Daten z.T. selbst über ethnografische Verfahren erhoben (z.B. über Probenbegleitung, Interviews mit den Choreograf*innen und anderen an der Produktion Beteiligten) oder vorhandenes Datenmaterial gesammelt und ausgewertet (z.B. Kritiken, Selbstbeschreibungen der Stücke, Erinnerungsprotokolle von Zuschauer*innen).
In Bezug auf das Thema des Forschungsverbundes wurden folgende Ergebnisse erzielt: Alle Choreograf*innen übersetzen auf sehr verschiedene Weise Lebenserfahrungen und Traditionen ihrer Herkunftsländer in ein ästhetisches Konzept des global zirkulierenden zeitgenössischen Tanzes. Das Konzept der ‚Zeitgenossenschaft’ liefert dabei weniger den ästhetisch-normativen als den ökonomischen Rahmen, auf dem die Arbeiten auf dem globalen Kunstmarkt gezeigt werden können.
Die Übersetzung (post-)kolonialer Fragen sind genuiner Bestandteil aller Stücke. Alle Choreograf*innen arbeiten dabei mit hybriden kulturellen Formen, dies in Bezug auf (Tanz-)Techniken, Narrative, Kostüme, Materialien, Musik, Bühne oder den Einsatz von Medien. Theoretisch kontextualisiert in das Rahmenthema des Verbundes konnten über die Teilprojektforschung folgende Thesen formuliert und bestätigt werden:
(1) Übersetzungsprozesse sind immer durch das Paradox von Identität und Differenz geprägt,
(2) es gibt Grenzen des Übersetzens,
(3) das Unübersetzbare im Ästhetischen ist nicht (nur) als ein Verlust sondern auch als ein Surplus, als ein ästhetischer Überschuss anzusehen,
(4) das zu Übersetzendende (z.B. kulturelle und soziale Erfahrung) wird im Übersetzungsprozess und durch die Praktiken des Übersetzens nicht nur verändert sondern neu gerahmt und schließlich
(5) Praktiken des Übersetzens werden immer von Politiken gerahmt, die ein- und ausschließend und von daher mit Macht durchzogen sind.
Rahmungen sind von daher nicht nur konstitutiv für die Entstehung und die jeweiligen Rezeptionen einer Choreografie. Praktiken des Rahmens sind auch ein wesentlicher Bestandteil von Übersetzungsprozessen körperlicher und ästhetischer Praktiken, durch die bestimmte Ästhetiken erst als Übersetzung und als Verweis auf ein vermeintliches ‚Original’ retrospektiv wahrgenommen werden.
Die Forschungsergebnisse des Teilprojekts wurden bislang in verschiedenen Aufsatzpublikationen veröffentlicht. Eine Dissertation wurde im Rahmen des Forschungsthemas konzipiert. Weitere Aufsatzpublikationen sowie eine Buchpublikation sind in Arbeit. Die Publikationen konzentrieren sich auf verschiedene Teilaspekte: auf eine postkoloniale Kritik am Konzept der Zeitgenossenschaft, auf das Verhältnis von kultureller Erfahrung und ästhetischer Praxis einzelner Künstlerinnen, auf kulturelle Übersetzungen im Rahmen von künstlerischen Arbeitsprozessen und auf die Übersetzung und Rahmung einzelner Narrative (z.B. Animismus, Ballett als koloniale Form, Ritual und Theater, Zeitgenossenschaft).