Ästhetische Prozesse und Aneignungspraktiken in interaktiven und pseudoauthentischen Webserien
Projektleitung: Prof. Dr. Markus Kuhn, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Wissenschaftliche Mitarbeit: Andreas Veits
(Medienwissenschaft, Schwerpunkte: Film, Fernsehen und Internet)
Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden eine theoretisch-elaborierte Klassifizierung für Webserien-Formate erarbeitet, narrative Strukturen relevanter Webserien analysiert und das Wechselspiel von Produktion und Aneignung von Webserien durch ‚User Communities‘ untersucht. Unter Webserien wurden audiovisuelle Formen im Internet gefasst, die sich durch Serialität, Fiktionalität und Narrativität auszeichnen und die für das Web als Erstveröffentlichungsort produziert worden sind. Aufgrund des zunehmend wichtiger werdenden Grenzbereichs zwischen Webserien und der großen Zahl erfolgreicher Fernsehserien im Netz musste eine erweiterte mehrstufige Definition von Webserien gebildet und reflektiert werden.
Den Forschungsgegenstand bildeten deutschsprachige und US-amerikanische Webserien, wobei auf ein inklusives Korpus aller auffindbaren deutschsprachigen und exemplarisch ausgewählten englischsprachigen Webserien zurückgegriffen wurde (insgesamt ca. 120 Webserien). Zur vertieften Analyse wurden zwei Webserientypen aus diesem Korpus fokussiert, die sich im Umfeld von YouTube gebildet haben: ‚pseudo-authentische‘ und ‚interaktive‘ Webserien. Beide Typen dieses exklusiven Korpus von ca. 30 Webserien nutzen das implizite und/oder explizite interaktive Potenzial, welches sich durch die strukturelle Einbettung in das Social Web ergibt, und funktionalisieren dieses für die Narration und das ästhetische und kommunikative Konzept.
Die Rahmung durch das Web 2.0 hat sich somit als prägend für die mediale Form der Webserie bestätigt. Ebenso konnte gezeigt werden, wie Webserien auf konventionalisierte filmische Erzählformen und etablierte Genremuster zurückgreifen und diese medial übersetzen und an die Rahmungen des Internet anpassen. Somit konnte herausgearbeitet werden, wie die Ästhetik von Webserien wie lonelygirl15, Pietshow, Prom Queen, MANN/FRAU, Skam, Alles Liebe, Anette oder Web Therapy durch ein Zusammen- und Wechselspiel von Übersetzungs- und Rahmungsprozessen geprägt ist. Das Feld der interaktiven Weberserien haben wir schrittweise auch in Richtung des Grenzbereichs zwischen Webserien und Videospielen erweitert, indem wir ausgewählte Serien-Spiele, wie The Wolf Among Us, The Walking Dead oder Batman: The Enemy Within untersucht haben, die ästhetische und narrative Strukturen mit Webserien teilen.
Neben der analytisch-theoretischen Bearbeitung der Untersuchungsgegenstände wurde auch die konkrete Verzahnung von Produktion und Rezeption untersucht. Hierzu wurde mit Akteuren aus der Webserien-Szene wie Regisseuren, Produzenten, Magazin-Herausgebern und Festival-Veranstaltern kooperiert. Lokale und soziale Verankerungen, die sich in ästhetischen und narrativen Strukturen der Webserien widerspiegeln, wurden als zentrale Einflussfaktoren auf Produktionskonzepte professioneller, semiprofessioneller und Amateur-Webserien sowie auf die Aneignungspraktiken durch ‚User Communities‘ erkannt. Es hat sich gezeigt, dass diese Praktiken ihrerseits auf die Produktion von Webserien zurückwirken.
Spuren der Aneignung durch Nutzergemeinschaften wurden als Paratexte im Netz (Kommentare, Antwortvideos etc.) gefunden und gesichert sowie in die Analyse miteinbezogen. Neben Fragen der Medialität rückte so auch das Konzept der Situationalität in den Fokus. Technisch und sozial geprägte Rezeptionssettings nehmen Einfluss auf die situational-spezifische Sinnkonstitution der in Webserien vermittelten Erzählungen. Auch die Ebene der Kulturalität spielt eine zentrale Rolle: Durch den Rückgriff auf konventionalisierte Erzählstrukturen des nordamerikanischen und europäischen Films und Fernsehens, wie sie etwa in vielen Teen- und Twenpic-Webserien nachweisbar sind, werden kulturelle Muster aufgegriffen, die durch andere kulturelle Rahmungen in ein dynamisches Spannungsverhältnis der De- und Rekontextualisierung geraten.
Publiziert wurden Beiträge in medien- und kulturwissenschaftlichen Sammelbänden und Handbüchern zu pseudo-authentischen Webserien, interaktiven seriellen Games, WG-, Teenpic- und Twenpic-Weberserien sowie zu Grundlagen der Webserie als neue narrative audiovisuelle Form im Internet. Auf dem WebserienBlog wurde ein Teil unserer Korpusarbeit und Materialrecherche von deutschsprachigen sowie ausgewählten englischsprachigen und internationalen Webserien aufgearbeitet. Der WebserienBlog dient somit auch der Dokumentation historischer und aktueller Entwicklungen der deutschsprachigen Webserien-Landschaft (vgl.: Kuhn, Markus (Hg.): WebserienBlog. Webserien, Online-Serien, Webisodes, Websoaps und Mobisodes in Deutschland (2017). Online-Ressource [http://webserie.blogspot.de/].