Keying als subversive Aneignungsstrategie. Experimentelle Untersuchung medialer Setzungen
Projektleitung: Prof. Dr. Friedrich von Borries, Hochschule für bildende Künste
Wissenschaftliche Mitarbeit: Mara Recklies
(Design- und Architekturtheorie, kuratorische Praxis)
Das Teilprojekt hatte zum Ziel, eine Theorie der narrativen Intervention im Design- und Kunstkontext zu entwickeln. Dabei galt ein besonderes Interesse den wechselseitigen situationalen Verschiebung von realen Elementen in den fiktionalen Raum und fiktiven Elementen in den realen Raum. Im Sinne von Goffmans Rahmenanalyse sollte untersucht werden, ob Irritationen oder Täuschungen als ‚Keying‘ Potentiale für subversive Wandlungen und Aneignungen eröffnen.
Gegenstand der Untersuchung war zunächst die künstlerische Intervention RLF, eine von Friedrich von Borries initiierte ‚reale‘ wie ‚fiktive‘ Protestbewegung, die vorgab, den Kapitalismus mit seinen eigenen Mitteln schlagen zu wollen. Als ‚auto-ethnografisches’ designtheoretisches Forschungsprojekt betrat das beantragte Vorhaben im deutschsprachigen Raum methodisches Neuland. Aus diesem Grunde machte es sich ebenfalls zur Aufgabe, seine methodischen Verfahren der medialen Übersetzungs- und Rahmungspraktiken zu reflektieren und mit experimentellen Untersuchungspraktiken eine Brücke zwischen wissenschaftlicher und künstlerischer Forschung zu schlagen.
Im Rahmen der Untersuchung konnte sich die Grundannahme des Teilprojekts erhärten, dass interventionistischen Praktiken gesellschaftskritischer Kunst und sozialen Protestbewegungen Strategien der Werbung und des Marketings eingeschrieben sind. Mit ihnen verbunden sind Wahrnehmungs- und Aneignungspraktiken, die situational und medial different sind. Besonders die experimentelle Forschung durch eine Re-Invention von Allan Kaprows Performance WORDS, die auf der Art Cologne 2016 präsentiert wurde, bot dem Projekt einen reichen Materialkorpus, um persönliche und kollektive Aneignungsstrategien offenzulegen und zu beschreiben. Die 1962 in der Smolin Gallery New York erstmals gezeigte Arbeit WORDS erfüllte für das Forschungsprojekt optimale Voraussetzungen, um es in einen zeitgenössischen Kontext zu übertragen: Die Wörterrollen und Wortfetzen, die 1962 von den Wänden und Decken der Galerieräume hingen, wurden in einen Sticker und in Social Media Feeds übersetzt. Das Environment des Happenings wurde ausgeweitet, indem jeder Rezipient aufgefordert wurde, selber als Performer in den gesamten Stadtraum und in Social Media Sphäre zu intervenieren. Durch die Nutzung überwachter Medien (Instagram, Facebook, Twitter etc.) wurde der Slogan „Show You Have WORDS“ nicht nur global politisch, sondern auch individuell und alltäglich reflektiert.
Die Ergebnisse der ersten Forschungsphase wurde mit der Herausgabe der Doppelausgabe Nr. 171/172, 46. Jahrgang 2016 der Zeitschrift Ästhetik & Kommunikation dokumentiert und abgeschlossen.
Basierend auf den Untersuchungen zu der Intervention RLF widmete sich die zweite Forschungsphase der Formulierung von Grundlagen und Möglichkeiten interventionistischer Forschungsmethoden im Design. Ein Zwischenstand dieser Untersuchungen wurden in einem Aufsatz in der Zeitschrift Kursbuch veröffentlicht. Abgeschlossen werden diese Überlegungen mit der Publikation „IUI. Propädeutik der Intervention“, die 2018 im Merve Verlag erscheint. Mit beiden Publikationen wurde ein wichtiger Beitrag zur Untersuchung von Design als Praxis der Intervention in bestehende Kontexte geliefert, die im Fachdiskurs zunehmend in den Fokus rückt.
Abgeschlossen wurde das Projekt mit einer Ausdehnung des Untersuchungsfeldes. Angeregt durch die praxeologische Ausrichtung des Forschungsverbundes richtete sich das Forschungsinteresse des Teilprojektes von der Auseinandersetzung mit Praxen des Übersetzens und Rahmens mittels strategischen Entwurfs- und Gestaltungspraktiken auf Praktiken der Rahmensprengung. Ausgehend von Goffmans These, dass Rahmen die Grenzen der Freiheit markieren, wurde dabei untersucht, inwieweit künstlerische Interventionen als Rahmensprengung verstanden werden können und welche Bedeutung derartige Rahmensprengungen in der Gesellschaft der Gegenwart haben könnten. Die Kernthese ist, dass Rahmensprengungen zu einem Prozess des Re-Framings führen und aus diesem Grund innerhalb einer offenen Gesellschaft nicht nur der Selbstvergewisserung und -überprüfung, sondern auch dem Erhalt und Ausbau der eigenen Offenheit dienen. Abgeschlossen wird dieser Arbeitsschritt durch die Publikation „Rahmensprengung. Die Kunst der offenen Gesellschaft“ (Arbeitstitel), die 2018 im Merve Verlag veröffentlicht wird.