Hauptvorträge
Martin Rothgangel (Universität Wien, Religionsdidaktik) - Sportdidaktik im Kontext anderer Fachdidaktiken und der allgemeinen Fachdidaktik
Die Allgemeine Fachdidaktik ist im Kontext der Gesellschaft für Fachdidaktik entwickelt worden. Zwei Gründe sprechen dafür, dass dieser Entstehungskontext keineswegs zufällig ist: Erstens legt sich in Anbetracht des Zusammenseins von inzwischen über 30 Fachdidaktiken in der GFD die Frage nahe, was diesen Fachdidaktiken gemeinsam ist und was sie unterscheidet. Zweitens entstand bei der GFD-Jahrestagung 2009 zum Thema „Empirische Fundierung der Fachdidaktiken“ der Eindruck, dass die fachdidaktischen Diskurse und Forschungsarbeiten unzureichend von der Allgemeinen Didaktik rezipiert würden. Was aber ist das Allgemeine der Allgemeinen Didaktik, wenn für ihre Theoriebildung das Besondere der Fachdidaktiken keine konstitutive Rolle spielt? In der Folge entstand nach dieser Jahrestagung die GFD-Arbeitsgruppe „Allgemeine Fachdidaktik“. Dabei führten bereits die ersten Vergleiche zwischen den fünf Fachdidaktiken (Biologie, Deutsch, Englisch, Musik, Religion) in Band 1 der Allgemeinen Fachdidaktik (Bayrhuber u.a. 2017) zu aufschlussreichen Ergebnissen (Rothgangel 2017). Aus diesem Grund wurde die entsprechenden Impulse für Band 2 der Allgemeinen Fachdidaktik (Rothgangel u.a. 2021) ausdifferenziert und stellten Vertreter:innen aus 17 Fachdidaktiken – darunter auch die Sportdidaktik (Oesterhelt u.a. 2021) – auf der Grundlage von sechs Impulsen ihr Fach und ihre Fachdidaktik dar. Im vorliegenden Vortrag werden wesentliche Ergebnisse dieses Vergleichs dargelegt, wobei ein besonderes Augenmerk der Sportdidaktik gelten wird (vgl. auch Gerlach & Brandl-Bredenbeck 2022): Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede weist sie bei diesen Impulsen im Vergleich zu anderen Fächern und Fachdidaktiken auf?
Literatur
Bayrhuber, H., Abraham, U., Frederking, V., Jank, W., Rothgangel, M. & Vollmer, H. J. (2017). Auf dem Weg zu einer Allgemeinen Fachdidaktik. Allgemeine Fachdidaktik Band 1. Münster: Waxmann.
Gerlach, E., Brandl-Bredenbeck, H.P. (2022). Systematik zentraler Forschungsansätze. In Balz, E., Reuker,S., Scheid, V., Sygusch, R., Sportpädagogik. Eine Grundlegung (S. 169-185). Stuttgart: Kohlhammer.
Oesterhelt, V., Gerlach, E., Grimminger, E., & Friedrich, G. (2021). Sportdidaktik. Bestandsaufnahme und Forschungsperspektiven. In M. Rothgangel, U. Abraham, H. Bayrhuber, V. Frederking, W. Jank & H. J. Vollmer (Hrsg.), Lernen im Fach und über das Fach hinaus: Bestandsaufnahmen und Forschungsperspektiven im Vergleich. Allgemeine Fachdidaktik Band 2 (2. Aufl.) (S. 391–418). Münster: Waxmann.
Rothgangel, M. (2017). Vergleich der Fächer. In Bayrhuber, H., Abraham, U., Frederking, V., Jank, W., Rothgangel, M. & Vollmer, H. J.: Auf dem Weg zu einer Allgemeinen Fachdidaktik. Allgemeine Fachdidaktik Band 1. Münster: Waxmann, S. 137–146.
Rothgangel, M., Abraham, U., Bayrhuber, H., Frederking, V., Jank, W. & Vollmer, H. J. (Hg.) (2021). Lernen im Fach und über das Fach hinaus: Bestandsaufnahmen und Forschungsperspektiven aus 17 Fachdidaktiken im Vergleich. Allgemeine Fachdidaktik Band 2 (2. Aufl.), Münster: Waxmann.
Claude Scheuer (EUPEA) - No Education without Physical Education - EUPEA und die Entwicklung der sportbezogenen Bildungspolitik
Die European Physical Education Association (EUPEA) ist der Dachverband der europäischen Sportlehrerverbände in Europa und setzt sich seit ihrer Gründung in Brüssel im Jahr 1991 für die Belange des Schulsports in Europa ein (EUPEA, 1991). Dabei stehen eine angemessene Qualifikation der sportlehrenden Personen sowie die Qualität des Sportunterrichts bzgl. Struktur, Prozess und Produkt im Mittelpunkt der Interessen und der Mission von EUPEA (EUPEA, 2011; Scheuer & Holzweg, 2014). Im Sinne von „Adocacy for Physical Education“ sollen politische Entscheidungsträger auf europäischer Ebene sowie in den Ländern der EUPEA-Mitglieder demnach von der Bedeutung des Schulsports auf allen Ebenen eines Bildungssystems mit Blick auf eine ganzheitliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen hin zu einem bewegten Bewegungsstil überzeugt werden.
In den letzten Jahrzehnten war EUPEA insbesondere auf europäischer Ebene im Rahmen von sportbezogener Bildungspolitik aktiv. Zum Einen wird dabei die Expertise von EUPEA in diesem relevanten Themengebiet in Expertengruppen der Europäischen Kommission oder als Mitglied im Consultative Committee im Enlarged Partial Agreement on Sport des Council of Europe anerkannt; zum Anderen hat EUPEA mehrere relevante Stellungnahmen zu aktuellen Themen publiziert, wie z.B. während der COVID-19-Pandemie das Position Statement on Physical Education in Schools, during the COVID-19 Pandemic (EUPEA, 2020). Auch hat EUPEA in der Vergangenheit mehrere Beiträge veröffentlicht, die einen vergleichenden Überblick zur Situation im Schulsport in Europa bieten (z.B. Holzweg et al., 2013; Onofre et al., 2012a, 2012b). Im Rahmen dieser Kernaktivitäten von EUPEA ist aber leider weiterhin – genau wie in den meisten Ländern Europas – fest zu stellen, dass die politischen Entscheidungsträger sich weiterhin sehr schwer tun, die seit Jahren vorliegende Evidenz und die damit einhergehenden Forderungen für eine Verbesserung der Bedingungen des Schulsports in Europa um zu setzen. Von Interesse ist hier insbesondere eine rezente Studie zur EU-Sportpolitik im Allgemeinen, an deren Durchführung EUPEA beteiligt war (Mittag & Naul, 2021).
Seit Beginn des Erasmus+-Programms in 2014 ist EUPEA auch zunehmend im Bereich Forschung aktiv. Durch die Beteiligung an mittlerweile mehr als 20 forschungsbezogenen Kooperationsprojekten in den Bereichen Sport, Schulische Bildung und Hochschulbildung gilt EUPEA auf europäischer Ebene mittlerweile als ausgezeichnet vernetzt und ist eingebettet in europaweite Netzwerke von Nicht-Regierungs-Organisationen und akademischen Institutionen im Bereich Sport und Bewegung. Als strategische Kernthemen im Rahmen dieser Projektaktivitäten identifiziert EUPEA (1) das Eintreten für das Fach Sport, (2) die Lehrerausbildung, (3) das Monitoring und die Evaluation von Schulsport und körperlicher Aktivität sowie (4) die Förderung von Sportunterricht und körperlicher Aktivität (EUPEA, 2023).
Im Rahmen dieses Vortrags werden diese drei Themen – die Mission von EUPEA, die Aktivitäten im Rahmen sportbezogener Bildungspolitik sowie die Beteiligung an kooperativen, europäischen Forschungsprojekten – dargestellt und diskutiert. Abschließend wird aus dieser Perspektive ein Blick auf mögliche Anknüpfungspunkte zur deutschen Sportpädagogik sowie die künftigen Prioritäten von EUPEA geworfen.
Literatur
European Physical Education Association (1991). Declaration of Madrid “No Education without Physical Education” 27th of October 1991. Ghent: European Physical Education Association.
European Physical Education Association (2011). Declaration of Madrid “No Education without Physical Education” 27th of October 1991, amended 10th November 2011 in Brussels by the “add that” points. Ghent: European Physical Education Association.
European Physical Education Association (2020). Position Statement on Physical Education in Schools, during the COVID-19 Pandemic. Luxembourg: European Physical Education Association.
European Physical Education Association (2023). Matrix of EUPEA Projects for PE Advocacy. Luxembourg: European Physical Education Association. Abgerufen unter https://eupea.com/wp-content/uploads/2022/12/MATRIX_EUPEA-Forum-2022pdf.pdf
Holzweg, M., Onofre, M., Repond, R.-M., & Scheuer, C. (2013). Schulsport in Europa aus Perspektive des Europäischen Sportlehrerverbands (EUPEA). Sportunterricht, 62, 229-234.
Mittag, J. & Naul, R. (2021). EU sports policy: assessment and possible ways forward. Brussels: European Parliament, Research for CULT Committee - Policy Department for Structural and Cohesion Policies.
Onofre, M., Marques, A., Moreira, R., Holzweg, M., Repond, R.-M., & Scheuer, C. (2012a). Physical education and sport in Europe: From individual reality to collective desirability (Part 1). International Journal of Physical Education, 49(2), 17-31.
Onofre, M., Marques, A., Moreira, R., Holzweg, M., Repond, R.-M., & Scheuer, C. (2012b). Physical education and sport in Europe: From individual reality to collective desirability (Part 2). International Journal of Physical Education, 49(3), 31-35.
Scheuer, C., & Holzweg, M. (2014). Quality in physical education: an overview from the perspective of physical education teacher associations. In C. Scheuer, B. Antala, & M. Holzweg, Physical Education: Quality in Management and Teaching (pp. 62-71). Logos: Berlin.
Fiona Chambers (University College Cork, Ireland) - Sport Pedagogy - Past, Present, and Future
More than a decade has passed since the evolution and revolution of the concept of sport pedagogy. Initially mooted by Tinning (2008), three events occurred which cemented its place in the world of academia. The first was an edited book: ‘Sport Pedagogy: An introduction for teaching and coaching (Armour, 2011). Here, sport pedagogy is defined as a subdiscipline of sport science (and related areas of study) with three complex dimensions (knowledge in context, learners and learning, teachers and teaching/coaches and coaching) which increase in complexity as they interact to form each pedagogical encounter (ibid). The second event involved the Association Internationale des Écoles Supèrieure d’Éducation Physique (AIESEP) specialist seminar at the University of Birmingham from which emanated a Position Statement: ‘Sport (& Exercise) Pedagogy’: (Re)Defining the Field’ (AIESEP, 2012). Finally, the third event - the 2014 Sport Education and Society Special Edition – New Directions for Research in Physical Education and Sport Pedagogy. It was here that Armour and Chambers unpacked the concept in considerable detail in their article: ‘Sport & Exercise Pedagogy’. The case for a new integrative sub-discipline in the field of Sport & Exercise Sciences/ Kinesiology/Human Movement Sciences’. Since then, academic researchers have been ‘playing’ with the concept of sport pedagogy. Ten years on, it seems prudent to pause and to gauge the status and contribution of sport pedagogy research globally. Therefore, this overview will explore the role of academic genealogy and terroir in shaping emergent sport pedagogy research themes in various regions of the world. Acknowledging that the world is in polycrises, the theme of design fiction and possible futures for sport pedagogy will also be interrogated to suggest its future direction and particularly its potential unique contribution to Society 5.0 (Deguchi et al, 2018).
Eckart Balz & Jonas Wibowo (Universität Wuppertal) - Spannungsfelder der Sportpädagogik
Mit unserem Vortrag soll die sportpädagogische Diskussion über Spannungsfelder, in denen sich unsere wissenschaftliche Teildisziplin bewegt, aufgenommen und weitergeführt werden. Solche Spannungsfelder verstehen wir als Bereiche differenter Kräfte, die sich gegenseitig beeinflussen und eine gewisse Aufladung erzeugen (z. B. zwischen Fremd- und Selbstbestimmung) – wir sehen sie hier als entwicklungsrelevante Spielräume heterogener wissenschaftlicher Orientierungen für die Sportpädagogik (u. a. Mayntz et al., 2008; Gogoll & Messmer, 2012; Oesterhelt et al., 2008; Scherler, 1989).
Zum Einstieg gilt es, diese Thematik wissenschaftlich einzuordnen und auf bereits diskutierte Spannungsfelder der Sportpädagogik knapp einzugehen: z. B. auf das ewige Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis pädagogischen Handelns (u. a. Wiesche, Fahlenbock & Gissel, 2016), zwischen normativen Konzepten und empirischen Fakten (u. a. Scherler, 1990; Balz, 2009) sowie zwischen Anwendungsorientierung und Selbstvergewisserung (u. a. Thiele & Schierz, 1998).
Im Hauptteil geht es darum, ausgewählte und aktuell diskutierbare Spannungsfelder der Sportpädagogik etwas näher zu beleuchten und exemplarisch zu vertiefen: z. B. das Spannungsfeld zwischen Vergangenheitsbearbeitung und Zukunftsorientierung (u. a. Balz, Gabriel & Wibowo, 2022), das Spanungsfeld zwischen Normalisierung und Autonomie (u. a. Thiele, 2013) oder das Spannungsfeld zwischen Binnenperspektiven und Außenperspektiven (s. das Hamburger Tagungsthema).
Zum Ausstieg ist beabsichtigt, weitere Spannungsfelder anzusprechen und diskursiv offenzuhalten: z. B. das Spannungsfeld zwischen Konstruktion und Dekonstruktion, zwischen Verschulung und Entschulung oder zwischen Konkurrenzlagen und Kooperationszwängen (Nickelsen, 2022).
Zudem soll versucht werden, verschiedene Optionen auszuloten, sich in solchen Spannungsfeldern zwischen heterogenen Orientierungen (a/b) angemessen verorten und bewegen zu können: durch Polarisierung (entweder a/oder b), Separierung (sowohl a/als auch b), Negierung (weder a/noch b), Integration (a und b/zu c) und Dialektik (statt a oder b/neu c).
Literatur
Balz, E. (Hrsg.) (2009). Sollen und Sein in der Sportpädagogik. Beziehungen zwischen Normativem und Empirischem. Shaker.
Balz, E., Gabriel, L. & Wibowo, J. (2022). Herausforderungen der Sportpädagogik. In E. Balz, S. Reuker, V. Scheid & R. Sygusch (Hrsg.), Sportpädagogik. Eine Grundlegung (S. 242-255). Kohlhammer.
Gogoll, A, & Messmer, R. (Hrsg.). (2012). Sportpädagogik zwischen Stillstand und Beliebigkeit. BASPO.
Mayntz, R., Neidhardt, f., Weingart, P. & Wegenroth, U. (Hrsg.) (2008). Wissensproduktion und Wissenstransfer. Wissen im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Transcript.
Nickelsen, K. (2022). Wechselwirkung. Kooperation und Konkurrenz in den Wissenschaften. Forschung & Lehre (10), 786-787.
Oesterhelt, V., Hofmann, J., Schimanski, M., Scholz, M. & Altenberger, H. (Hrsg.) (2008). Sportpädagogik im Spannungsfeld gesellschaftlicher Erwartungen, wissenschaftlicher Ansprüche und empirischer Befunde. Czwalina.
Scherler, K. (Red.) (1989). Sportpädagogik – wohin? Greinert.
Scherler, K. (Hrsg.) (1990). Normative Sportpädagogik. Greinert.
Thiele, J. (2013). „Normale Wissenschaft“ – die Sportpädagogik im Prozess der Normalisierung? In A. Gogoll & R. Messmer (Hrsg.), Sportpädagogik zwischen Stillstand und Beliebigkeit (S. 27-46). BASPO.
Thiele, J. & Schierz, M. (Hrsg.) (1998). Standortbestimmung der Sportpädagogik. Zehn Jahre danach. Czwalina.
Wiesche, D., Fahlenbock, M. & Gissel, N. (Hrsg.) (2016). Sportpädagogische Praxis – Ansatzpunkt und Prüfstein von Theorie. Czwalina.