Dr. Michael Staack
Sport und Technik: Inhibition von Innovation (AT)
Im 21. Jahrhundert verdichtet die beschleunigte (Weiter-)Entwicklung neuer Messmethoden und Sportgeräte die Verflechtungen von Sport und Technik nochmal auf neue Art und Weise. Die sportwissenschaftliche Untersuchung dieses Prozesses erfolgte bislang primär durch naturwissenschaftliche Fächer wie die Trainingswissenschaft und die Sportmedizin. Das Habilitationsprojekt „Sport und Technik: Inhibition von Innovation“ zielt darauf, diesen Prozess soziologisch zu erschließen.
Das Habilitationsprojekt legt den Fokus auf den Leistungssport und hier auf die strukturellen, kulturellen und institutionellen Hürden der Implementierung technischer Entwicklungen. Über die Annahme, dass sich im Leistungssport alles stets um das Verbessern messbarer Leistungen und das Erringen neuer Rekorde drehe, sind sich Sport-Fans und -Kritikerinnen häufig erstaunlich einig. Nicht wenige Studien zu Sport und Technik weisen jedoch darauf hin, dass sich diese Annahme mit Blick auf technische Entwicklungen im Sport empirisch nicht halten lässt (Kerr 2016; Magdalinski 2009). So setzt sich oft die Technik, die die Sportleistung am meisten verbessert, nicht durch; in anderen Fällen wird bereits ihre Entwicklung blockiert (Trabal 2008).
Meine Forschung fragt vor diesem Hintergrund, wie institutionelle und kulturelle Pfadabhängigkeiten des Leistungssports verhindern, dass Ingenieur:innen, Trainer:innen und Sportler:innen so aufeinander ‚gepasst‘ werden, dass sich die beste technische Entwicklung durchsetzt: Konkrete empirische Fragen sind dafür zunächst, wie die für den Leistungssport entwickelte Technik als Idee oder konzeptueller Entwurf entsteht. Wie manifestiert sie sich also in Aushandlungs- und Vermittlungsprozessen zwischen Ingenieur:innen, Sportler:innen und Trainer:innen? Wie dis-/qualifiziert sie sich in weiteren praktischen Entwicklungs-Etappen? Wie schließlich wird sie implementiert oder verschwindet als unverwendeter Prototyp in Archiven und Abstellräumen? Und welche Friktionen zwischen den sozialen Welten der Technikentwicklung und der leistungssportlichen Trainings- und Wettkampfpraxis sind hierfür ursächlich? Ausgehend von diesen praxeologischen Fragen werden übergreifende soziologische Fragen verfolgt: Nach welchen praktischen Logiken beeinflussen Leistungssport und technische Entwicklungen sich wechselseitig – und wann und wie scheitern gegenseitige Einflussnahmen? Wie geben sie sich wechselseitig Impulse – und wie und wo werden solche Impulse strukturell, kulturell und institutionell unterbunden?
Zur Bearbeitung dieser Fragen wird eine Methoden-Kombination aus Ethnographie und transsequentieller Analyse genutzt. Ethnographische Beobachtungen werden in Trainings ausgewählter Sportarten und zugleich bei den Ingenieur:innen durchgeführt, die das für die Sportart verwendete technische Gerät (weiter-)entwickeln. So wird einerseits untersucht, welche Qualifikationsstufen technische Geräte überwinden müssen, um zu testbaren Prototypen zu werden. Zugleich wird untersucht, welche Qualifikationsstufen technische Geräte in der praktischen Anwendung (in Training und Wettkampf) überwinden müssen. Auf diesen parallelen transsequentiell-ethnographischen Analysen aufbauend, werden dann die Übersetzungsverhältnisse und Übersetzungshindernisse erforscht, die zwischen den Logiken der technischen Entwicklungsprozesse und denen der sportlichen Praxis bestehen.
Kerr, R. (2016). Sport and technology. An actor-network theory perspective. Manchester: Manchester University Press.
Magdalinski, T. (2009). Sport, Technology and the Body: The Nature of Performance. London and New York: Routledge.
Trabal, P. (2008). Resistance to technological innovation in elite sport. International Review for the Sociology of Sport, 43(3), 313–330.