Dr. Hanna Katharina Göbel
Formen und Publikum des posthumanen Artefakts
Athlet*innen, die mit Beinprothesen im leichtathletischen Leistungssport in internationalen Wettkämpfen antreten, haben eine politische Kontroverse um das sogenannte “Techno-Doping” provoziert. Demnach treten nicht mehr nur menschliche Körper in den Wettkämpfen gegeneinander an, sondern hinzu kommen technisierte “Superhumans” oder „Dis/abled Posthumans“ die einst dem stigmatisierten “Behindertensport” zugerechnet wurden. Gemeint sind damit übermenschlich anmutende Athlet*innen, die in der Leichtathletik vor allem durch ihre Beinprothesen (“Gepardenbeine”) bekannt wurden und die gängigen Körperklassifikationen, die sich an menschlichen Maßgaben orientierten, entgrenzt und irritiert haben. Während die internationalen Sportverbände im Kontext um Doping-Skandale nicht-behinderter Sportler*innen zudem versuchen, die Einmischung dieser prothetisierten Körper in den Sportbetrieb durch rechtlich wirksame Verbote aufzuhalten, haben sich gleichzeitig in den vergangenen zehn Jahren eigene Öffentlichkeiten mit Legitimationen, Affekten und Ästhetiken dieser Sportlerkörper gebildet.
Das Habilitationsprojekt nimmt dieses Körperphänomen zwischen „Behindertensport“ und der Kategorie des Posthumanen sowie aktuellen Debatten der dis/ability studies und des Posthumanismus in den Blick. Das Projekt ist ethnographisch ausgerichtet und im Paradigma der Praxistheorie verortet. Auf Basis der ethnografischen Studien wird erstens beleuchtet, wie die Artefakte zu Teilnehmenden von Sportpraktiken werden. Das Projekt geht hier von der kultur- und körpersoziologischen These aus, dass die Artefakte über ihre materiellen Körperformenzu anerkannten Teilnehmern von spezifischen Praktiken werden. Zweitens wird eruiert, wodurch diese Teilnahme legitimiert und beglaubigt wird. Das Projekt bietet hier einen Zugang der politischen Soziologie auf Artefakte und ihre Öffentlichkeiten an, der von einer Fragmentierung von Publika, insbesondere in digitalen Kulturen, ausgeht. Auf Basis dessen wird ein Begriff des Publikums im Digitalen entwickelt, der Zuschauerschaft als eine eigene Praxis in den Blick nimmt und auf spezifische Probleme und Kontroversen gerichtet ist, die durch die materiellen Formen entstehen. Das posthumane Artefakt, so wie es in der Rekonstruktion der Kontroversen der letzten zehn Jahre im Sport analysiert werden kann, braucht deshalb beides: materielle Körperformen, die einer spezifischen Praxis entsprechen oder diese durch eigene Ästhetiken herausfordern und ein jeweiliges Publikum, das diese sozial legitimiert und beglaubigt. Diesem Zusammenhang, der körper- und kultursoziologische Perspektiven mit Ansätzen der politischen Soziologie zusammenführt, geht das Projekt nach.
Keywords: Kultursoziologie, Körpersoziologie, Posthumanismus, Politische Soziologie