Martin Minarik
Im Gleichschritt des Dao. Die Performativität von Normen, Werten und Idealen in der Praxis des Taekwondo in Südkorea
Bewegungskulturen sind nicht selten mit dem selbst gesetzten Anspruch verbunden, soziale Normen, kulturelle Werte und gesellschaftliche Ideale durch körperliche Praxis vermitteln zu können. Auch die mittlerweile weltweit praktizierten populären Bewegungskulturen, die geläufig als „ostasiatische Kampfkünste“ bezeichnet werden, sind wesentlich von diesem Anspruch getragen. In diesem Sinne wird auch das koreanische Taekwondo, wie insbesondere all jene Kampfkünste mit dem Suffix „-do“, von institutioneller Seite her als eine körperliche Bewegungspraxis dargestellt, die allem voran eine individuelle und kollektive ethisch-moralische Schulung seiner Praktizierenden anstrebt. Ausdruck dieses Anspruchs ist der sogenannte „Taekwondo Spirit“[1] eine Art Wertekanon, der von den institutionellen Organen in Korea wie dem Kukkiwon propagiert wird. Diesem steht, so die Ausgangsthese der Dissertation, die tatsächliche körperliche Praxis des Taekwondo gegenüber. Das Dissertationsvorhaben stellt deshalb die Frage, wie jener „Taekwondo Spirit“ in der Praxis performativ erzeugt wird. Das Projekt will untersuchen, wie sich anhand einer ästhetisch-strukturellen Analyse diese performative Erzeugung sinnvoll rekonstruieren lässt.
Die theoretische Grundlage der Dissertation basiert zum einen auf einem performancetheoretischen Ansatz, mit dessen Hilfe die Trainingssituation des Taekwondo als Performance analysiert werden soll. Zum anderen basiert die theoretische Grundlage auf praxissoziologischen Ansätzen, mit deren Hilfe die Praxis des Taekwondo im Spannungsfeld von institutioneller Ordnung und körperlicher Praxis, der (Re-)Produktion des Sozialen durch körperliche Praktiken sowie sozialer Praxis zwischen Stabilität und Instabilität verortet wird. Nachdem aktuelle Ansätze in der Praxissoziologie körperliche Praxis unabhängig von Normen und Werten beschreiben, soll hier eine praxissoziologische Perspektive auf Normen und Werte eröffnet werden. Beide Theorieansätze – performance-theoretisch und praxissoziologisch – werden zudem auf Überschneidungen, Differenzen und eine mögliche komplementäre Verwendung hin diskutiert.
Den empirischen Kern des Projekts bildet eine Feldstudie, die über den Zeitraum von insgesamt vier Monaten in Seoul/Südkorea durchgeführt wurde. Die teilnehmende Beobachtung in einer Taekwondo-Schule liefert dabei die Grundlage für den Datenkorpus. Ergänzt wird dies durch Besuche von zentralen Einrichtungen für die koreanische Taekwondo-Szene und Taekwondo-spezifischen Performances. Grundannahme ist, dass im Training gesellschaftliche Normen, Werte und Ideale im Modus körperlicher und außerkörperlicher Ästhetik zu Aufführung gebracht, verhandelt und situativ erzeugt werden. Mit Bezug auf kulturwissenschaftliche und soziologische Theorieansätze sollen zudem in einem interpretativ-hermeneutischen Schritt Werte, Normen und Ideale anhand von ästhetischen Prinzipien aus der unmittelbaren Trainingspraxis heraus rekonstruiert werden.
Keywords: Taekwondo, Kampfkunst, Südkorea, cultural performance, Martial Arts Studies, Performativität, Praxis, Embodiment, Hierarchie
Betreuung: Prof. Dr. Gabriele Klein
[1] Siehe: Kukkiwon Homepage „Taekwondo Philosophy“
http://www.kukkiwon.or.kr/front/pageView.action?cmd=/eng/information/taekwondo_mind
abgerufen: 04.05.2018