Heike Lüken
Choreografische Stadtforschung: Praktiken künstlerischer Wissensproduktion
Im Kontext künstlerischer Forschung wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Projekte realisiert, die Städte und Stadtwahrnehmung mit Hilfe verschiedener Methoden untersuchen. Diese Methoden rekurrieren ebenso auf künstlerische, wie z.B. das situationistische Dérive, oder auf wissenschaftliche Kontexte, wie z.B. die Feldforschung. Die Ergebnisse dieser Stadtforschungen wurden sowohl als künstlerische Arbeiten im Stadtraum oder auf Bühnen gezeigt, sie fanden aber auch Eingang in städteplanerische oder architektonische Maßnahmen.
Das Forschungsvorhaben fokussiert auf jene Projekte künstlerischer Stadtforschung, die sich mit Bewegung im Stadtraum auseinandersetzen. Die Bewegungen im und durch den Stadtraum sind dabei sowohl Forschungsgegenstand wie –methode, um die vielfältigen somatischen, materiellen und psychischen Interaktionen zwischen Städten und Bewohnern zu erforschen. Projekte wie das „Radioballett“ (Hamburg 2002) der Hamburger Performancegruppe LIGNA oder die Stadtreisen von Boris Sieverts sind als Ergebnis künstlerischer Stadtforschung zu bezeichnen, die sowohl die Ordnung von Bewegung und Dingen als auch deren ästhetische Paradigmen thematisieren. Derartige Projekte aus dem europäischen Bezugsraum charakterisiere ich im Forschungsvorhaben als Choreografische Forschung und etabliere damit den Begriff als solchen: Choreografische Forschung bezeichne ich als einen Teilbereich mit eigenen, differenten Praktiken im ‚weiten Feld’ der künstlerischen Forschung und insbesondere im Bereich von Arbeiten und AkteurInnen, die sich mit Stadt und öffentlichem Raum auseinandersetzen.
Die Arbeit folgt der These, dass die untersuchten AkteurInnen durch ihre Recherchen ein spezifisches Wissen über den Stadtraum produzieren. Die Arbeit wirft in praxeologischer Perspektive einen Blick auf die künstlerische Wissensproduktion. Diese Praktiken, also ‚skillfull performances’ kompetenter Körper im Umgang mit anderen sowie mit Dingen, können im Kontext künstlerischer Forschung als Ensemble von künstlerischen Forschungs- und Arbeitsweisen hervorgebracht werden. Diese Perspektive erlaubt einen Blick auf die Materialität der Körper und der Artefakte (vgl. Reckwitz 2003, 291). Das Forschungsvorhaben schließt an wissenssoziologische Fragestellungen nach der Somatisierung des Wissens (Hirschauer 2008) sowie Forschungen zu Expertise als „Praktiken der Produktion, Verteilung, Rezeption und Interaktion von Wissen (pl.!)“ (Maasen 2009, 81) an. Es will einen empirischen Beitrag zum Diskurs über künstlerische Forschung leisten, den bislang vor allem programmatische Texte dominieren. Der innovative Beitrag der Dissertation besteht somit neben dem praxeologisch-empirischen Ansatz vor allem in der Begriffs- und Konzeptentwicklung sowie Positionierung der Choreografischen Forschung als Beitrag zur Differenzierung der bisherigen internationalen Debatte um „artistic research“ sowie einem transdisziplinären Ansatz, der die Trennungen von Kunst – Wissenschaft / Wissen – Forschung relativiert. Das Forschungsvorhaben geht den Fragen nach, 1. WIE die untersuchten / zu untersuchenden AkteurInnen forschen und wie 2. Choreografische Forschung zur Wissensproduktion über Stadt beiträgt.
Keywords: Stadtforschung, Künstlerische Forschung und Wissensproduktion, Kritische / Künstlerische Kunstvermittlung
Betreuung: Prof. Dr. Gabriele Klein